Von der Hand in den MundPrekäre Lebensverhältnisse in der Musik heute

Der Traum von einer Solokarriere mit paradiesischen Gagen oder der Festanstellung in einem Orchester oder an einem Opernhaus erfüllt sich nur wenigen. Die meisten müssen ihre oft außergewöhnlichen Talente und ihre Reife nach einem höchst anspruchsvollen Studium in der Freiberuflichkeit ausleben...

Von Christoph Schmitz, Ressortleiter Musikjournalismus |
Schwarz-Weiß Aufnahme eines Gitarristen auf einer Bühne
Musiker – Traumjob oder Armutsfalle? (© Chris Ainsworth)
Dass Kunst lange nicht immer satt macht, ist seit jeher bekannt und Realität auch in der Musik damals wie heute. Freiberufliche Musiker in Deutschland verdienten 2021 im Schnitt knapp 15.000 Euro. Komponisten brachten es zwar auf 20.000, aber Opern-, Lied- und Chorsänger auf nur 9.693 Euro. Dabei schneiden Frauen gegenüber ihren männlichen Musikerkollegen meist noch schlechter ab. Ein Leben von der Hand in den Mund ist unausweichlich und kann nur mit Nebenjobs abgemildert werden, oder der Partner/die Partnerin muss für ein gesichertes Einkommen sorgen. Zu den Ursachen der Misere unter den Freiberuflichen gehören geringe Auftrittsmöglichkeiten und Niedriglöhne. Der Traum von einer Solokarriere mit paradiesischen Gagen oder der Festanstellung in einem Orchester oder an einem Opernhaus erfüllt sich nur wenigen. Die meisten müssen ihre oft außergewöhnlichen Talente und ihre Reife nach einem höchst anspruchsvollen Studium in der Freiberuflichkeit ausleben. Einigen gelingt das, vielen nicht, auch wenn ihre Karriere mit praktischen Schulungs- und Fördereinrichtungen wie den Wettbewerben des Deutschen Musikrats oder den Opernstudios für den sängerischen Nachwuchs unterstützt wird. Aber gerade der nächste Schritt, nämlich heraus aus der Nachwuchsförderung ins reguläre Kunstgeschäft, zeigt sich als die vielleicht größte Hürde für den künstlerischen und ökonomischen Erfolg.
Das gilt für die Klassikwelt ebenso wie für die Blues-, Rock-, Indie-, Folk-, Pop- und Jazzszene. Und wo in der Pop- und Jazzmusik früher noch Albumverkäufe eine wichtige Einkommensquelle waren, verdienen die meisten Bands mit den Abrufen bei Streaming- Plattformen so gut wie gar nichts mehr. Nur die wenigen internationalen Stars mit millionenfachen Klickzahlen machen noch gute Geschäfte. Und wenn dann wegen einer Pandemie auch noch Tourneen und Konzerte abgesagt werden und die Gagen ausbleiben, bricht die finanzielle Basis komplett ein.
Im Rahmen des diesjährigen Denkfabrik-Themas „Von der Hand in den Mund – Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“ werfen wir in diesem September einen intensiven Blick auf die wirtschaftlich prekäre Situation von Musikerinnen und Musikern. In einem Dutzend Sendungen in den Programmen von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur analysieren wir in Gesprächen und Diskussionen, in Reportagen und Features Ursachen und Lösungsmöglichkeiten.
Dabei schauen wir nicht nur aufs Künstlerleben, sondern auch in die Welt der Lehrkräfte an Musikschulen und Musikhochschulen, wo die Zahl der Lehrbeauftragten mit geringer Bezahlung und ohne berufliche Absicherung im Laufe der Jahrzehnte deutlich zugenommen hat. Immerhin scheint sich nach langen Protesten an den Hochschulen in Sachen fairer Honorierung etwas zu bewegen.
Aber auch der kritischen Frage, ob wir in Deutschland nicht viel zu viele Musiker ausbilden, wollen wir uns stellen. Warum machen wir so viele fit für eine Künstlerexistenz, der der Markt der Möglichkeiten nicht genug Platz bietet? Und schließlich werfen wir ein besonderes Augenmerk auf die Situation in der Neuen Musik. Denn die zeitgenössische Avantgarde hat es nach wie vor bei Festivals, in Konzerthäusern und beim Publikum besonders schwer.
Zu unserem Schwerpunkt, wie der Klang des Geldes den Ton in der Musikwelt angibt, laden wir Sie herzlich ein – im Radioprogramm und natürlich auch zum Streamen im Netz und in unserer Dlf Audiothek App: kostenlos natürlich!
SENDEHINWEISE

Di., 30.8., 0.05 Uhr
Neue Musik (Dlf Kultur)

Budget als Sujet – Musikalische Strukturen und ökonomische Bedingungen

Di., 6.9., 0.05 Uhr
Neue Musik (Dlf Kultur)

Einmal und nie wieder? Zur Eigenlogik der Produktion Neuer Musik

Di., 6.9., 22.05 Uhr
Musikszene (Dlf)

Traumjob oder Armutsfalle? Vom Risiko, die Musik zum Beruf zu machen

Fr., 9.9., 22.03 Uhr
Musikfeuilleton (Dlf Kultur)

Schwimmen lernen oder untergehen? Wie Opernstudios junge Sänger auf den Berufsalltag vorbereiten

So., 11.9., 15.05 Uhr
Rock et cetera (Dlf)

Kunst & Kohle. Wie Bands heutzutage (überhaupt noch) Geld verdienen

Di., 13.9., 0.05 Uhr
Neue Musik (Dlf Kultur)

Frei zu sein, bedarf es wenig ... Arbeiten und Leben in der freien Musikszene

Mo., 19.9., 21.30 Uhr
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Klassische Patchwork-Existenz. Lehrbeauftragte an deutschen Musikhochschulen

Di., 20.9., 0.05 Uhr
Neue Musik (Dlf Kultur)

Grüneres Gras in Wien? Kulturförderung bei den Nachbarn

Mo., 26.9., 21.30 Uhr
Einstand (Dlf Kultur)

Investition in die Zukunft? Vom Alltag eines Musikschullehrers

Di., 27.9., 0.05 Uhr
Neue Musik (Dlf Kultur)

Macht Freiheit arm? Aspekte des Prekären in der aktuellen Musik- und Kunstproduktion

Di., 27.9., 22.05 Uhr
Musikszene (Dlf)

und
Fr., 30.9., 22.03 Uhr
Musikfeuilleton (Dlf Kultur)

Ohne Lockdown schwierig genug. Wirtschaftliche Realitäten und Kämpfe der freien Klassikszene