"Ich habe nichts zu erfinden“, sagt Alexandru Bulucz. Er sitzt in seinem Stammcafé, schaut von seinem doppelten Espresso auf die belebte Hauptstraße von Alt-Tegel in Berlin. Hier beginnt auch der Text, für den der 1987 in Rumänien geborene Lyriker, Herausgeber und Übersetzer Ende Juni mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet worden ist. Die Jury des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt lobte „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“ als fragiles wie souveränes, als menschlich wie ästhetisch kluges Selbstgespräch eines Mannes, der eine Katastrophe erlebt hat. Als Jugendlicher verlässt er sein Geburtsland. Doch Teile seiner Familie, seine Seele und Sehnsucht bleiben in der Heimat zurück.
„Für mich gab es den Begriff der Heimat nicht, als ich in Rumänien lebte. Da zu sein, war etwas Selbstverständliches. Aber dann verlierst du diese Geografie und merkst: Heimat ist eigentlich immer der Verlust von Heimat.“ Alexandru Bulucz teilt die Migrationserfahrung mit dem Erzähler seines preisgekrönten Textes. Auch er selbst kam im Alter von 13 Jahren aus Alba Iulia in Siebenbürgen nach Deutschland. Am Julinachmittag im Tegeler Café erinnert er sich: „Das war vor genau 22 Jahren, im Juli 2000, ein sonniger Tag. Die Busfirma hieß Atlassib. Mein Vater hat mich da hingebracht und die Oma war noch dabei, mütterlicherseits. Ich fuhr weg mit einem Provisorium, mit einem Ferienvisum. Es war aber ganz klar: Es gibt kein dauerhaftes Zurück mehr.“
Auch in seinem zweiten, zuletzt viel beachteten Gedichtband „Was Petersilie über die Seele weiß“ (Schöffling Verlag, 2020) setzt sich Alexandru Bulucz mit dem Verlust von Heimat und Muttersprache aus-einander. Das Vagabundieren zwischen den Sprachen, die Beschwörung christlich-orthodoxer Riten und kollektive wie kulturelle Erfahrungen der Menschen seines Heimatlandes beschäftigen den Autor. Stets fragt er dabei auch, wie und wo das Erzählen von seinem Verhaftetsein im Verlust einen Anfang nehmen kann. „Den bukowinischen Fragen, wo Heimat / beginne, Erinnerung ende, glaub‘ ich die Fragezeichen“, heißt es im Gedicht „Stundenholz“. Von seiner narrativen Lyrik sei es für ihn nur ein folgerichtiger Schritt gewesen zur elegant und stilsicher formulierten Prosa. Momentan arbeitet Bulucz an einem längeren Text, der an den in Klagenfurt ausgezeichneten Ausschnitt anknüpft.
Was seine schriftstellerische Zukunft betrifft, bleibt der zweifache Familienvater bescheiden. „Der einzige Wunsch ist, dass ich einen guten mentalen Zustand erreiche, in dem ich arbeiten kann – und disziplinierter werde.“ Denn gerade, weil er nichts zu erfinden habe, sieht Alexandru Bulucz das Ende seines Schreibens bereits als Option vor sich: „Vielleicht ist Schreiben so was wie ein Therapeutikum. Und wenn ich das Gefühl habe, dass ich einen Zustand erreicht habe, wo ich das nicht mehr brauche, kann es sein, dass es dann das Schreiben auch gar nicht mehr gibt.“
Der Deutschlandfunk-Preis ist die zweithöchste Auszeichnung bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Er wird seit 2017 vergeben. Mit einer Preissumme von 12.500 Euro geht er an den Zweitplatzierten oder die Zweitplatzierte des Wettbewerbs.