JÜRGEN DUSEL ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Seine Amtszeit steht unter dem Motto „Demokratie braucht Inklusion“. Zuvor war der Jurist Beauftragter der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen in Brandenburg.
Als ich in den 70er-Jahren aufgewachsen bin, hat das Radio für mich eine große Rolle gespielt – weit vor Internet, Podcasts usw. Ich komme aus dem Südwesten Deutschlands und für mich war der SWR – damals noch Südwestfunk – mein Heimatsender. Ich kam über die Popkultur zum Radio. Das heißt, ich saß mit einem Kassettenrekorder bei Hitparaden vorm Radio und habe versucht, mitzuschneiden. Dann bin ich immer mehr in die Literatur- und die Jazzszene „abgeglitten“. Aber auch Klassiksendungen waren für mich prägend, im Jurastudium ab 1985 gab es dann feste Termine im Radio, nach denen ich meinen Tag geplant habe. Auch heute ist Radio in meinem Alltag zentral. Mit meiner Sehbehinderung bin ich nicht so fixiert aufs Fernsehen, auch wenn Audiodeskription an Bedeutung gewinnt. Ich höre morgens regelmäßig „Studio 9“, bin begeistert von der Sendung „Tonart“ oder den Literatursendungen bei Deutschlandfunk Kultur. Ich bin aber auch, und das ist ja das Schöne am Internet, in der Lage, andere Sender zu hören, und bin ein großer Fan von Radio Free von BBC, besonders von der Sendung „Sound of the Earth“, in der für fünf Minuten ein Mikro beispielsweise in Sümpfen oder im Gebirge aufgestellt wird. „Information ist die Währung der Demokratie“, hat ein amerikanischer Präsident mal gesagt. Für mich ist das so: Das Radio spielt eine wichtige Rolle, was Informationen, aber auch was Möglichkeiten der Freizeitgestaltung betrifft, insbesondere für sehbehinderte Menschen. Es ist für sie nach wie vor eine wichtige Möglichkeit, sich gut, schnell und vor allem seriös – wenn man die richtigen Sender hört – zu informieren. Viele Leute mit Sehbehinderungen nutzen jetzt auch die digitalen Medien und holen sich dort Informationen. Auch haben Hörbücher eine große Bedeutung, um auch Literatur wahrzunehmen, und zwar zu einer Zeit, die man selbst wählen kann.
Nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland 2009 haben Themen wie Barrierefreiheit auch in den Medien Rückenwind bekommen. Wir merken, dass es jetzt vor dem Hintergrund der Medienstaatsverträge tatsächlich Veränderungen gibt. In Radiosendungen wird mehr Leichte Sprache verwendet, und Menschen mit Behinderungen kommen nicht nur mit Superheldenoder Katastrophengeschichten vor, sondern in ihrem ganz normalen Alltag. Ich merke auch, dass mehr Redakteurinnen und Redakteure selbst mit Behinderungen leben. Das Interesse ist da und auch notwendig: In Deutschland leben 13,5 Mio. Menschen mit einer Beeinträchtigung, das ist jede oder jeder Sechste von uns. Ich fände es gut, wenn die digitalen Angebote wie die Homepages der Medien – nicht nur von Deutschlandradio – noch einmal durchgesehen würden, damit sie tatsächlich barrierefrei sind. Das betrifft nicht nur die Frage der Schriftgröße und der Kontrastierung, sondern auch inwieweit Bilder oder Texte von Menschen, die Bilder nicht sehen können, erfasst werden können oder inwieweit Gebärdensprachvideos und Inhalte in Leichter Sprache vorhanden sind. Wir müssen verstehen, dass Barrierefreiheit Expertise voraussetzt. Im Bereich der Kultur und Medien arbeite ich mit den drei P: Programminhalt, Publikum und Partizipation. Also konkret: Inwieweit sind Programme inklusiv? Inwieweit ist die Zugänglichkeit für das Publikum gewährleistet? Und inwieweit sind Menschen mit Behinderung an der Programmgestaltung beteiligt? Wenn Menschen mit Behinderung ausgeschlossen sind, weil Angebote nicht barrierefrei sind, können sie nicht an einem gesellschaftlichen Diskurs teilhaben und dann fehlt auch deren Perspektive. Das ist schade, da Menschen mit Behinderung eine Menge einzubringen haben – und zwar nicht nur zum Thema Behindertenpolitik, sondern zu jedem anderen politischen Thema.