Dr. Pia Deutsch, geboren 1987, ist Historikerin. Sie promovierte an der britischen University of Warwick. In ihrer Dissertation „Identitäten im Umbruch: Das Deutschlandradio als ‚Nationaler Hörfunk‘, 1989–1994“ betrachtet sie die Gründung von Deutschlandradio aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Seit 2019 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
In den 1960er-Jahren wollte der Deutschlandfunk die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs mit den „richtigen“ Informationen versorgen. Zwar entwickelte sich der Programmauftrag im Laufe der Zeit weiter, doch in den späten 1980er-Jahren war es immer noch das Ziel des Senders, die Erinnerung an die Wiedervereinigung wachzuhalten. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der folgenden Wiedervereinigung 1990 änderte sich diese Ausgangslage vollkommen. Die Existenz des Deutschlandfunks wurde infrage gestellt.
Ähnlich ging es zwei anderen Radiosendern: dem RIAS und DS Kultur. 1946 ging das Radio im Amerikanischen Sektor in Westberlin als „freie Stimme der freien Welt“ auf Sendung. Zwar war der Sender insbesondere für seine Unterhaltungssendungen bekannt, dennoch sendete er in den Abendstunden anspruchsvolle Wort- und Musiksendungen. Der mitunter raue Ton gegenüber der DDR brachte ihm den Namen „Kampfsender“ ein. Als von der amerikanischen Regierung gegründeter Sender stand die Existenz des RIAS mit der Deutschen Einheit zur Disposition.
Ebenfalls aus Berlin, allerdings aus dem östlichen Teil, sendete Deutschlandsender Kultur. In ihm gingen 1990 Teile des DDR-Radios auf. Man wollte über das Zusammenwachsen Deutschlands im Kontext der europäischen Einigung berichten und tat dies mit einem anspruchsvollen Kulturprogramm. Mit der Abwicklung seiner Trägerorganisation, des DDRMediensystems, 1991 stand auch DS Kultur eigentlich vor dem Aus.
In der Diskussion darüber, wie es für die drei Sender weitergehen könnte, kam schließlich die Idee einer Fusion auf den Tisch. Wie die jedoch ausgestaltet werden sollte, darüber wurde mehrere Jahre gestritten. Das zähe Ringen um die Zukunft der Sender bedeutete nicht nur Konflikte zwischen Deutschlandfunk, RIAS und DS Kultur. Auch innerhalb der Sender führte das Gezerre um die Existenz zu teils schweren Verwerfungen. Eine ebenso große Herausforderung war es, die drei doch sehr unterschiedlichen Programme zusammenzubringen.
Schlussendlich einigte man sich auf die Gründung von Deutschlandradio, das ab dem 1. Januar 1994 zwei Programme senden sollte: Eines wurde in Köln vom Deutschlandfunk produziert, das andere kam unter dem Namen DeutschlandRadio Berlin aus dem Funkhaus des RIAS in Berlin. Dort waren zuvor die Kolleg:innen von DS Kultur eingezogen. Dabei waren Welten aufeinandergeprallt. Im Vorfeld war mit harten Bandagen um die Ausrichtung der Programme, um personelle Ressourcen und nicht zuletzt um die politische Integrität der zukünftigen Mitarbeitenden gestritten worden. Und nun teilte man das Büro miteinander und sollte zusammenarbeiten.
1995 kommentierte der erste Intendant Ernst Elitz in einem Beitrag für das Institut für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln den Fusionsprozess: „Zwei unterschiedliche, ja sogar in Ost und West gegeneinander sozialisierte Personengruppen stießen aufeinander und mussten sich unter psychischen Schmerzen arrangieren.“ Während man in Berlin zunächst konfliktreich in die „neue“ Zeit startete, veränderte sich in Köln wenig.
In dieser „Wiedervereinigung im Kleinen“ gab es die gleichen Vorgänge wie in der „großen“ Wiedervereinigung: Machtasymmetrien, Unsicherheit, Misstrauen und Neuanfänge, Gefühle von Demütigung, Befreiung und Aufbruch. Man musste den Alltag miteinander erlernen und das war harte Arbeit. Arbeit, die zur heutigen Vielfalt in den Programmen beigetragen hat.