JOACHIM GAUCK, Bundespräsident a.D., Theologe, Politiker und Publizist. Als Pastor leitete er 1989 die Friedensgebete; er war Sprecher der Bürgerbewegung Neues Forum in Rostock und 1990 Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer; ein Jahrzehnt war er Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Von 2012 bis 2017 war er Präsident der Bundesrepublik Deutschland.
In den Tagen um den 17. Juni 1953 hatten wir schulfrei. Ich hing, gerade einmal 13 Jahre alt, am Radio und hörte gebannt – wenn das Programm nicht gerade gestört wurde –, was auf den Straßen in Berlin passierte. Der RIAS, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und später auch der Deutschlandfunk waren unsere Hauptinformationsquellen, die, anders als die DDR-Staatspropaganda, uns die Möglichkeit gaben, nicht nur Fakten über die aktuellen Entwicklungen zu erhalten, sondern auch gedanklich weiter mit dem Westen verbunden zu sein. Um uns herum politische Propaganda, aber auf einer bestimmten Frequenz Informationsfreiheit. Mit seinem Angebot wandte sich der Deutschlandfunk ja faktisch an die DDR-Bürger als Alternative zum Staatsfunk. Daher bin ich dem Deutschlandfunk bis heute – wie übrigens viele aus dem Osten – von Herzen dankbar. Er hat – wie wenige andere Institutionen – die Verbindung zwischen Ost und West gehalten, als manche Landsleute im Westen schon nichts mehr über die DDR hören wollten. Der Deutschlandfunk folgte diesem Zeitgeist nicht. „Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“ – diesem Auftrag aus der Präambel des Grundgesetzes fühlte er sich stets verpflichtet.
Deutschlandradio war und ist ein Motor der Einheit. Es hat die Überwindung der Teilung begleitet, reflektiert und kommentiert. Gewiss ist dieser Sender – mit seinen heute drei Programmen – vor allem ein Produkt der Einheit. Und schließlich war Deutschlandradio auch ein Labor der Einheit. Wie in nur wenigen anderen Institutionen haben hier Menschen mit Ost- und Westbiografien zusammen etwas Neues geschaffen. Es war keine leichte Geburt, damals. RIAS und Deutschlandsender Kultur, diese scheinbar grundverschiedenen Programme aus Ost und West, zu Deutschlandradio zu vereinen, das war wahrlich eine Herausforderung, ja eigentlich ein Wagnis. Aber war es nicht genauso mit der Herstellung der Deutschen Einheit? Und so, wie die Deutsche Einheit im Großen gelang, so gelang auch bei Deutschlandradio die „Einheit im Kleinen“: mit Euphorie und Aufbruchsstimmung, aber auch mit einer gehörigen Portion Veränderungsskepsis und mit mancher Enttäuschung.
Heute spiegelt Deutschlandradio mit seinen Hörfunkprogrammen unser geeintes Deutschland in einem größer gewordenen Europa, in einer Welt, die sich beständig verändert und vor immensen Herausforderungen steht. Die „taz“ schrieb vor einigen Jahren, dass Deutschlandradio „Frequenz gewordene Zuverlässigkeit“ sei, „so etwas wie der Bundespräsident unter den Radiosendern: politisch engagiert, aber neutral und auf die großen Zusammenhänge bedacht“.
Und so bleibt der Auftrag seiner Programme bestehen: die Deutschen, die politisch wie regional so unterschiedlich geprägt sind, miteinander zu verbinden. Und das in einem aufgeklärten nationalen Diskurs, wie in einer Vermittlung der verschiedenen kulturellen Traditionen. Was auch bleibt und sich ständig verstärkt, ist das Bedürfnis nach verlässlicher Information, nach verständlicher Einordnung, nach Orientierung in einer Gegenwart, die viele doch als immer unübersichtlicher empfinden. Und genau dies ist ein ungeheuer wichtiger Auftrag. Denn unsere Demokratie ruht auf der Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, sich in der Unübersichtlichkeit nicht zu verlieren oder zu verirren, sondern sich eine eigene Meinung bilden zu können.
Deutschlandradio, seinen Programmen und allen Verantwortlichen sage ich als treuer Hörer: herzlichen Dank! Sie haben uns in den vergangenen Jahren durch allen Wandel hindurch zuverlässig begleitet. Sie haben mit Verantwortungsbereitschaft Veränderung gewagt. Ich wünsche Ihnen den Mut, sich weiter zu wandeln, wenn es notwendig ist, und die Weisheit, zu erkennen, wann das notwendig ist. Und damit alles Gute für die kommenden Jahre!