Eine Lange Nacht über die Neue Deutsche WelleJung, laut, dilettantisch

Abwärts-Sänger Frank Ziegert
Abwärts-Sänger Frank Ziegert (© Fryderyk Gabowicz / United Archives / picture alliance)
Mit der Neuen Deutschen Welle ist das so eine Sache, denn im Grunde gab es sie doppelt. Die eine Neue Deutsche Welle, die kommerziell erfolgreiche, das waren unter anderem Nena, Markus und Hubert Kah – im Grunde Schlagermusik, aber fetziger, mit frecheren, in den besseren Momenten sogar witzigen Texten. Ein Strohfeuer, das im Jahr 1982 grell aufloderte und rasch wieder erlosch.
Die andere Neue Deutsche Welle dagegen, die ursprüngliche, war die deutsche Reaktion auf Punk, auf einen musikalischen Epochenbruch, der von New York und London ausging. Punk war einerseits die Rückkehr zu den Wurzeln des Rock, zu einfachen, kurzen Songs. Und andererseits der Versuch, Popmusik neu zu erfinden. Oder wie Malcolm McLaren es ausdrückte, der Manager der Proto-Punk-Band Sex Pistols: „Wir sind der Anfang. Sonst gibt es nichts. Alles, was vorher war, ist Müll.“
In den späten 1970er-Jahren ist Punk ein Fanal. Das neue große Ding. Die Gegenbewegung zur Hippie-Kultur. Jedes Punk-Konzert ist eine Explosion. Irgendwer im Publikum wird seine oder ihre eigene Band gründen. Mehr als drei Akkorde braucht es nicht.
In Deutschland sind Berlin, Düsseldorf, Hamburg die frühen Zentren dieser neuen Musik. Und Hannover. Gesungen wird auf Deutsch, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das ist damals revolutionär. Deutsch ist die Sprache der Schlagermusik, von der sich frühere Rockbands immer abgrenzen wollten. Ein Oberbegriff ist schnell gefunden: Neue Deutsche Welle. Analog zu England, wo die Bezeichnung Punk nicht mehr ausreicht, um die Vielfalt der neuen Musik zu beschreiben, und man deshalb von New Wave spricht.
SENDEHINWEIS
Sa., 11.5.
Dlf Kultur 0.05 Uhr / Dlf 23.05 Uhr
Lange Nacht
Jung, laut, dilettantisch - Eine Lange Nacht über die Neue Deutsche Welle

Zu hören ist die „Lange Nacht“ auch als Podcast in der Dlf Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt
„Im Grunde wurden unter dem Begriff Neue Deutsche Welle singuläre Phänomene zusammengefasst“, sagt der Kulturwissenschaftler und Pop-Theoretiker Dietrich Diederichsen. „Sie hatten wenig miteinander zu tun, außer dass sie zeitgleich stattfanden und von ihrer Haltung und ihrem Design erkennbar anders waren als alles, was wir bis dato kannten.“
Im Jahr 1979 fängt Dietrich Diederichsen als Redakteur bei der Musikzeitschrift Sounds an, kurz darauf steigt er zum Redaktionsleiter auf. Er modelt Sounds um. Das Blatt hat sich anfangs vor allem mit Jazz befasst, dann mit progressiver Rockmusik. Nun liegt der Schwerpunkt auf den Neuen Wellen, der deutschen und der internationalen.
Reporter von Sounds schwärmen aus und berichten aus den (west-)deutschen Städten. Von Bands, die in aberwitziger Geschwindigkeit entstehen. Die bestenfalls lokal bekannt sind, die oft nur im Proberaum existieren und manchmal nur in der Fantasie ihrer Macher. Nun erhalten sie bundesweite Öffentlichkeit. Das Ergebnis ist eine zweite Explosion: Unabhängige Plattenfirmen entstehen. Bands wie Abwärts aus Hamburg und Hans-A-Plast aus Hannover werden zu Stars der Szene. Fehlfarben, The Wirtschaftswunder oder DAF lassen erahnen, wie vielfältig und eigenständig deutsche Popmusik sein kann.
„Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat“, singen Fehlfarben. Das trifft das Lebensgefühl der späten 70erJahre, eines Jahrzehnts, in dem die Kleidung bunt war, aber der Alltag düster. Es ist das Verdienst der Bands der Neuen Deutschen Welle, der ursprünglichen, der wahren, das Licht angeknipst zu haben. Dass dann die Bands der anderen Neuen Deutschen Welle ins Scheinwerferlicht traten, ist eine andere Geschichte.