Claudia van Laak, geboren 1963 im Münsterland, aufgewachsen mit ‚Hallo Ü-Wagen‘ vom WDR. Studium von Germanistik, Journalistik und Spanisch in Bamberg und Barcelona. Seit 2014 Leiterin des Landesstudios Berlin.
Ja, ich wohne und arbeite in der gescheiterten Stadt namens Berlin. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat es uns erst vor Kurzem noch einmal bestätigt. Wenn er in Berlin ankomme, sagte er, dann denke er immer, er verlasse den funktionierenden Teil Deutschlands. Palmer hat recht. Wir haben keinen Flughafen, der BER heißt (aber dafür zwei andere, die trotz Überlastung tadellos funktionieren). Wir haben bundesweit bekannte arabische Clans, die vermutlich dafür verantwortlich sind, eine 100-Kilo-Goldmünze hollywoodreif aus dem Bode-Museum gestohlen zu haben (nein, der Rechtsstaat ist nicht gefährdet, ihre Immobilien wurden beschlagnahmt und die mutmaßlichen Täter stehen vor Gericht). Berlin ist nicht niedlich und sauber wie Tübingen, die Stadt ist oft hässlich, dreckig und – aufregend. Und ich liebe sie.
Ja, es gibt Parallelgesellschaften. Aber nicht nur im Bezirk Neukölln. Sind die internationalen Start-up-Unternehmer nicht ebenfalls Integrationsverweigerer? Ich kenne US-Amerikaner, die seit zehn Jahren in Berlin leben und außer ,Hallo‘ und ,Tschüs‘ vielleicht noch das Wort ,Ausländerbehörde‘ kennen. Und was ist mit den Bundestagsabgeordneten im Raumschiff Regierungsviertel? Ich zweifele daran, dass die Mehrheit von ihnen das Berliner Leben außerhalb des Bezirks Mitte kennt. Aber das wäre eine gute Recherche, fällt mir gerade ein. Einen Titel habe ich auch schon. ,Mein Berlin zwischen Hauptbahnhof und Reichstag – Bundestagsabgeordnete in der Parallelgesellschaft‘.
Als Leiterin des Berliner Landesstudios bin ich auch für die Politik des Senats zuständig. Welche Folgen es hat, wenn die Regierenden nur bis zur nächsten Wahl denken, das lässt sich gerade hier studieren. Der Senat verkaufte große Teile des landeseigenen Wohnungsbestandes (übrigens eine rot-rote Koalition). Die extrem gestiegenen Mieten zeigen – das war eine Kurzschlussreaktion. Außerdem: Niemand dachte voraus und bestellte neue U-Bahnen und Busse. Die Folgen dieser Kurzsichtigkeit: Die alten klapprigen Wagen fallen aus, der öffentliche Nahverkehr gerät aus dem Takt.
Auch wenn einiges nicht funktioniert: Zehntausende wollen jedes Jahr Berlinerin oder Berliner werden. Viele Wissenschaftlerinnen, Künstler, Politikerinnen, Aktivisten durften in ihrer Heimat nicht so arbeiten und leben, wie sie wollten, Berlin hat ihnen Zuflucht geboten. Das gilt nicht nur für Teheran, Kabul und Damaskus, es gilt leider auch für Budapest. So durfte ich die Open Society Foundation von George Soros journalistisch begleiten, die von der Orbán-Regierung aus Budapest vertrieben wurde und in der Hauptstadt eine neue Heimat gefunden hat. „Wir können hier endlich wieder tief ein- und ausatmen“, sagte mir der Chef der neuen Niederlassung, Goran Buldioski.
Woran ich gerade arbeite? Ich interviewe Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind und sich in Berlin auf einen Weg ins Offene gemacht haben. Die sich von ihrem schlagenden Ehemann befreien, von einer als Unterdrückungsinstrument verstandenen Religion, manchmal auch von ihrem Kopftuch. Unterstützung finden sie bei Frauen aus Aleppo und Kunduz, die schon länger hier sind.
Diese Geschichte könnte auch im Tübingen des Boris Palmer spielen. Aber Hand aufs Herz: Sie passt viel besser zu meinem Berlin.
Claudia van Laak
Landeskorrespondentin Berlin
Landeskorrespondentin Berlin