Reihe: LandeskorrespondentenAlles andere als eine verträumt-verschlafene Idylle

Als Radio der Länder unterhalten wir Korrespondentenstudios in allen 16 Landeshauptstädten und am Finanzstandort Frankfurt/Main. Unsere Inlandskorrespondenten stehen für den föderalen Sendeauftrag der drei Deutschlandradio-Programme. In dieser Artikelreihe stellen die Kolleginnen und Kollegen von Kiel bis München ihre Bundesländer vor.

Porträt: Johannes Kulms
Johannes Kulms (Deutschlandradio / Marius Schwarz)
Ausgerechnet Neumünster! Das hat sich womöglich nicht nur Carles Puigdemont gedacht, sondern auch viele der Journalisten aus Spanien und Deutschland, die tagelang in der Kälte vor der Justizvollzugsanstalt in Neumünster darauf warteten, wie es nun weitergeht mit dem früheren katalanischen Regionalpräsidenten. Derartige Breaking-News-Momente sind in meinem Leben als Landeskorrespondent in Schleswig-Holstein die Ausnahme. Denn die internationale Politik platzt hier eher selten herein. Das kleine Bundesland im hohen Norden spielt politisch, aber auch wirtschaftlich sicherlich nicht mit im Konzert der ganz Großen.
Ein reizvoller Korrespondentenplatz
Trotzdem – oder womöglich gerade deswegen – ist Kiel für mich ein reizvoller Korrespondentenplatz. Meine Arbeit für den bundesweiten Hörfunk ist in der Regel weniger nachrichtengetrieben als zum Beispiel in Berlin, München oder Düsseldorf. Große DAX-Konzerne inklusive großer PR-Abteilungen gibt es in Schleswig-Holstein nun einmal nicht. Dennoch ist das Land zwischen den Meeren keine verträumt-verschlafene Idylle. Denn auch hier finden sich viele Geschichten, die im Kleinen zeigen, was schiefläuft in unserer Gesellschaft.
Themenvielfalt
Über viele Monate wurden Millionen winziger Plastikteilchen in den Ostseearm Schlei eingeleitet. Die Ursache liegt in einem Klärwerk in Schleswig. Doch letztendlich ist die Umweltkatastrophe nur ein Symptom für unsere Gesellschaft, die im Plastik sprichwörtlich zu ertrinken scheint. Ein anderes Beispiel: Zum 25. Jahrestag des Möllner Brandanschlags treffe ich Ibrahim Arslan. Als damals Siebenjähriger hat er das Inferno 1992 überlebt. Seine Schilderungen sind aufwühlend, aber auch konfrontativ, weil er schwere Vorwürfe gegen die Stadt Mölln erhebt, die diese zurückweist. Doch in Zeiten von wiedererstarkendem Nationalismus und Angriffen auf Migranten und Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland erscheint Arslans Engagement gegen Rassismus bewundernswert – und womöglich nötiger denn je. Ein anderes Thema: Zum Equal Pay Day mache ich einen Beitrag über die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Dass die Lohnlücke vor allem in den ländlichen Gegenden Westdeutschlands ziemlich hoch ist, weil Frauen am Ende eben doch meistens die Kinder betreuen müssen, lässt mich ratlos zurück. Jobs und Kita-Plätze sind auch in der schleswig-holsteinischen Provinz meistens zu weit voneinander entfernt. Ich dachte, wir seien schon weiter mit der Gleichberechtigung.
Eigene Akzente
Für mich als noch junger Journalist bietet meine Tätigkeit in Kiel viele Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Hier kann ich mich ausprobieren, vom O-Ton bis zum Feature alles in Angriff nehmen. Das bedeutet aber auch: Ich lerne meine Grenzen kennen. Das Bahn- und Straßennetz hat viele Lücken, macht manche Recherchetour zur Odyssee. Wenn gleichzeitig ein Pressetermin in Lübeck und ein anderer in Rendsburg stattfindet, kann ich mich nun mal nicht zweiteilen. Als Landeskorrespondenten sind wir vor allem auf uns alleine gestellt. Das lässt aber auch viele Freiheiten. Zum Beispiel um vermeintlich einfache Fragen zu stellen. Wieso etwa kann ich in Kiel – der Landeshauptstadt am Meer – so schwer frischen Fisch aus der Region kaufen? Wie sieht heute der Alltag der Menschen auf Helgoland aus – nachdem die Zeiten der Butterfahrten vorbei sind und inzwischen mancher Immobilienbesitzer schnelles Geld wittert?

Das Bundesland als Vorreiter
Nicht zuletzt ist Schleswig-Holstein aber auch in mancherlei Hinsicht Vorreiter. Der Breitbandausbau auf dem Land kommt hier tatsächlich ganz ordentlich voran. Auch die Integration von Flüchtlingen scheint bisher zu klappen. Die Landespolitik ist seit dem Zustandekommen von Jamaika ein interessanter Gegenpol zum bisweilen herrschenden Berliner Regierungschaos. Und nicht zuletzt ist das Miteinander an der deutschdänischen Grenze vorbildlich. Auch wenn dort in Kürze womöglich ein Zaun gegen Wildschweine steht.
Johannes Kulms,
Landeskorrespondent Schleswig-Holstein