Henry Bernhard, geboren 1969 in Brandenburg, aufgewachsen und Schulzeit in Thüringen, das Glück der Revolution in Dresden erlebt, Studium Politik, Publizistik, VWL und Öffentliches Recht in Göttingen. Seit 1990 Arbeit für den Rundfunk, erst als Reporter, bald als Feature-Autor und Regisseur für MDR, NDR, Deutschlandradio und viele andere Wortprogramme. Zwischen 1 und 75 Minuten alle Formate probiert, immer öfter für den Deutschlandfunk. Seit ein paar Jahren auch Fernsehen. Seit Oktober 2013 Deutschlandradio-Landeskorrespondent Thüringen.
Am ersten Tag meines Korrespondenten-Daseins vor fünf Jahren saß ich morgens am Schreibtisch und überlegte, was nun passieren würde. Ob mich jemand anruft? Ob ich auf Themensuche gehe? Ob irgendetwas passiert? Wie läuft das bei einem Korrespondenten? In meinem Outlook waren zwei Telefonnummern eingetragen – jeweils die der aktuellen Chefs vom Dienst in den Funkhäusern Köln und Berlin. Da ploppt bei dpa Thüringen die Nachricht auf: ‚Gasexplosion in Kali-Grube – Drei Bergleute vermisst‘. Ich war elektrisiert. Grubenunglücke sind wichtig! Darüber müsste ich berichten. Also habe ich eine Mail an die CvDs geschickt. Keine Reaktion. Also bin ich losgefahren. Auf Verdacht. Es war eisig am Schacht. Viele Journalisten standen herum, Gerüchte machten die Runde. Irgendwann gab es eine kurze Erklärung. Und ich sollte auf den Sender, live, in den ‚Informationen am Abend‘ um 18.10 Uhr. Ich redete zu schnell, verhaspelte mich, stolperte durch das Gespräch. Der Moderator nahm es sportlich. Zurück zu Hause erwarteten mich betretene Gesichter: „Papa, das war peinlich.“ Das war schlimmer als ein Anruf aus der Chefredaktion.
Zeitsprung, fünf Jahre sind vergangen: Meine Tochter schreibt mir jüngst eine Nachricht: „Höre Deinen Beitrag über die Grundsteinlegung. Und Du bist mir auch gar nicht mehr peinlich.“ Geschafft!
Nebenbei aber habe ich in fünf Jahren auch noch mal einen Crashkurs ‚Heimatkunde‘ belegt: Jede Woche unterwegs, um über Politik, Kultur, Wirtschaft, Bildung, Geschichte, Wissenschaft im größten Thüringen der Welt zu berichten. Schnell merkt man: Ein Ministerrücktritt in Thüringen ist bundesweit nur von begrenztem Interesse. Von einer Wahl zum Parteivorsitz ganz zu schweigen. Wir sind hier nicht in Bayern. Aber dieser Nachteil ist zugleich ein Vorteil: Der Korrespondent kann Geschichten erzählen, wahre Geschichten aus dem Leben. Von dem CDU-Kreisverband, dessen Aktive in einen Kleinbus passen, auf dem Weg zur Kandidatenshow von Merz/Spahn/AKK. Von der Hobby-Ornithologin, mit der das Lachen im bitterkalten Garten auch nach einer Stunde nicht ausging. (Nebenbei zählte sie Vögel für den BUND). Geschichten von der Frau, die eine der größten Schimmelpilzsammlungen der Welt betreut und so begeistert von Schimmel spricht, dass auch ich danach überzeugt bin: Am Anfang war der Schimmel.
Das Leben als Korrespondent ist eine Mischung aus Routine und Überraschung. Eine ruhige Woche mit langfristig geplanten Terminen kann schon am Montagmorgen beendet sein. Da kann der ‚entspannte Recherchetag‘ zur 17-Stunden-Schicht ausufern: Der Thüringer Verfassungsschutz prüft, die AfD zu beobachten? Das ist von bundesweiter Relevanz. Ein paar Live-Schalten (hoffentlich stotterfrei), die erste noch aus dem Innenministerium, ein bis zwei Beiträge, ein Kommentar. Immer die Agenturen im Auge behalten, Reaktionen einbeziehen. Nur dass am Abend das langfristig Geplante immer noch ansteht. Und noch eine Ausstellungseröffnung in Weimar. ‚Fazit‘ will den Bericht noch am Abend, nicht erst am nächsten Tag. Wenn er fertig ist, knapp vor der Sendung um 23 Uhr, ist Zeit zum Durchatmen. Aber dann sitzt einem wieder das ursprünglich für diesen Tag Geplante im Nacken. Morgen? Niemand weiß, was dann kommt. Aber nach fünf Jahren als Korrespondent hat man auch in den Überraschungen etwas Routine, kennt ein paar Politiker, die immer noch was sagen, wenn man auch ihren Namen nicht zitieren darf, weiß, wie lange man schlimmstenfalls für einen Beitrag braucht. Und man kennt die Kollegen vom Lokalen, von der Tageszeitung, ohne die und deren Recherchen ein Landeskorrespondent aufgeschmissen wäre.
2019 wird es richtig spannend: 100 Jahre Weimarer Republik, 100 Jahre Bauhaus, 30 Jahre Mauerfall, und: die Landtagswahl. Alles deutet darauf hin, dass die Regierungsbildung schwierig bis unmöglich werden könnte. Für Rot-Rot-Grün wird es vermutlich nicht noch einmal reichen; die CDU könnte vor der Wahl stehen, sich zwischen den Linken und der AfD entscheiden zu müssen. Oder gibt es eine bunte Vierer-Koalition? Nur eines ist sicher: Im Korrespondentenbüro wird oft lange Licht brennen.
Henry Bernhard
Landeskorrespondent Thüringen
Landeskorrespondent Thüringen